Jürgen Böhms Heimatseiten - Texte - Philosophie

Alles existiert, was denkmöglich ist !

Verkündung Rechtfertigung

 

 

Rechtfertigung

Ich gebe zu, ich habe den grundsätzlichen philosophischen Fehler begangen, ich habe etwas in sich widersprüchliches behauptet, naämlich zuerst, kühn, im Fanfarenton: ''Alles existiert, was denkmöglich ist !''. Später dann aber auf einmal, erschrocken vor den ungeheuerlichen Konsequenzen des Gedankens, die Idee das es eine Macht gibt, die dem eigentlich existierenden (aber unausdenkbar schrecklichen) die ''reale Existenz'' verweigert (also Gott mit seiner ''Weltplanungsabteilung'').

Vielleicht sollte ich überhaupt, jetzt in etwas nüchternerem Tonfall die Hintergründe dieser Behauptung ''Alles existiert, was denkmöglich ist'', wie ich dazu gekommen bin, und nebenbei, warum ich mir selbst widersprochen habe, aufzeigen.

Leider ist das alles nicht so leicht auseinanderzulegen, obwohl ich den Grundgedanken, der mich dahin geführt hat schon am Anfang meines Textes dargestellt habe. Ich kann auch nicht mit einer aus eigenem Wissen fundierten Ideengeschichte der Frage nach der Bestimmung des Existierenden (im Unterschied zum Nichtexistierenden) dienen, nur einer Sammlung von gedanklichen Impressionen.

Zunächst einmal zweifelt kaum ein Mensch an, das das was er sieht, berührt usw. wirklich existiert, bekanntlich sagt der extreme Skeptiker ja immer ''ich glaube nur, was ich sehe'' (das glaubt er dann aber um so bereitwilliger). Wann der erste Mensch sich die Frage gestellt hat, ob der Baum auch da ist, wenn ihn keiner sieht oder ob ein Gott den Baum durch sein Betrachten in der Existenz hält weiss ich auch nicht wirklich (den Namen Berkeley kenne ich aber).

Vielleicht ist ja der allgemeine Konsens: Die Materie existiert, daneben gibt es ein Reich geistiger Vostellungen und Empfindungen, das nur ''fadenscheinig existiert''. Gräbt man tiefer wird das fragwürdig. Was ist mit einem Menschen, der Nacht für Nacht einen unglaublich realistischen Alptraum erlebt, und sich an alle Details erinnert ? Was mit luziden Träumern, die in ihren eigenen Träumen handelnd tätig werden, bewusst, dass sie träumen (das gibt es wirklich !).

überhaupt löst sich ja die scheinbar so reale Materie bei näherer Betrachtung immer weiter auf, in der abendländischen Physik eben in Mathematik (mein Raunen über die Mannigfaltigkeiten, Faserbündel und Kategorien hat durchaus ein reales Fundament).

Hat man also erstmal die Materie (an deren wirklicher, ja sogar primärer Existenz man seit der überwindung altmodischer dualistischer Zöpfe glaubt) auf die Mathematik zurückgeführt, erfolgt aber der Rückschlag der Geisteswelt: Warum sollen denn nur so wenige mathematische Kategorien irgendwelchen Realitäten entsprechen, und in diesen Kategorien letztlich nur ein einziges Objekt ? Dabei sind wir natürlich zunächst einmal vorsichtig:

Laut Einstein ist unsere Welt eine Lorenzmannigfaltigkeit und das heisst eben eine ganz konkrete Menge (aber nicht eine finitistisch konstruierbare). Vereinfachen wir mal die Physik ein bisschen, nehmen nur die Gravitation, dann ist jede Lorenzmannigfaltigkeit, auf der der Einsteintensor verschwindet, eine mögliche Welt. Welche von diesen, als mathematische Objekte realen Welten, ''real existiert'' ist natürlich eine Frage. ''Real existieren'' das muss eben heissen ''beseelt sein''. Da liegt jetzt ein Sprung vor, den ich nochmal in Schritten gehen will und mit einer anderen Veranschaulichung als der Physik, nämlich der Informatik.

Nehmen wir an, wir konstruieren im Computer eine simulierte Welt, voller simulierter Wesen, ein Zeichentrickuniversum, eine simulierte griechische Antike oder was auch immer. Es ist eigentlich kein Zweifel, dass man diese Simulation so realistisch gestalten kann, dass der Betrachter sie für ''real'' hält. Hier teilen sich im allgemeinen die Geister in zwei Lager: Wenn in einer Simulation von Menschen diese alle den Turingtest bestehen, und überhaupt sich als angenehme, ja liebenswerte Zeitgenossen erweisen und plötzlich (aber nur in der Simulation) Blut fliesst, dann wird es die geben, die sagen: ''Sofort das Programm ändern, diese ''Wesen'' empfinden echtes Leid'' während die anderen höchstens den Stecker ziehen würden um ihre Nerven zu schonen.

Kein Zweifel, der Betrachter, der mitleidet, ob er nun zur ersten oder zweiten Kategorie zählt, ist beseelt, also bewusst, aber eben mehr als nur bewusst (auch ein schlafender Mensch ist noch beseelt), aber was ist nun mit den Figuren seiner Spielwelt ?

Oder mal ein anderes Szenario, ich benutze den mir mitgegebenen Computer, mein Gehirn, und stelle mir etwas plastisch vor, eine Handlung, einen Ort, Menschen mit Empfindungen, imaginäre Dialoge mit vorgestelltem Tonfall. Der oben vorgeschlagene Computer mag ja noch in weiter Ferne liegen, aber das ging schon immer. Natürlich träumen die Menschen unterschiedlich intensiv tagsüber - ich kenne aber jemanden, der zu seinem Vergnügen wochenlang 5 Stunden täglich eine selbstverfasste Echtzeit-Bühnenhandlung vor seinem inneren Kino hat ablaufen lassen, mit druckreifen Dialogen. Ob da die Imagination nicht schon ein kleines bisschen Realität geworden war ?

Ein kleines Zwischenspiel: Wahrscheinlich seit er sich etwas plastisch vorstellen konnte, was es noch nicht oder nicht mehr oder nur an einem anderen Ort gab, hat sich der Mensch wohl auch vorgestellt und dann auch gewünscht und schliesslich mit tiefster überzeugung geglaubt, er hätte die Macht, Gedanken durch die blosse ihnen innewohnende Kraft, Realität werden zu lassen.

Für den Schamanen, der die jenseitige Welt, die Traumzeit, bereist hatte und aus ihr zurückgekehrt war, war es ein leichtes, durch die Macht des guten Willens zu heilen ebenso wie durch die Macht des bösen Willens zu töten. Er flog mit den Wolken und blies mit der mächtigen Kraft seines beseelten Atems den regenbringenden Sturm an.

Erst der Europäer errichtete die Herrschaft des Gesetzes in der Natur, nicht beseelter Wille, Motiv und Absicht die noch den Fall der Steine von den Bergen lenkten und die ''Ströme, die Ahnungsvollen meine Bahn nicht, aber gewisser dem Meere zueeilen'' liessen, sondern mathematische Gesetze bestimmen den Lauf der Welt. Der Glaube der Berge versetzen konnte musste nicht mehr erprobt werden, jetzt konnte man die Berge ganz real in die Luft sprengen.

Und wo er messend, zählend, rechnend vordrang in die alte magische Welt, wo alles was sich regte noch ''mit Seele ging'' da versagte die Zauberei, da war die Prophezeiung nicht mehr statistisch signifikant und die Sterne waren nicht mehr die hohen Künder von Mass und Gesetz, die grossen Regenten der irdischen Bühne, Lichtpunkte an geordneten Himmelssphären, sondern zunächst einmal nur Himmelsinventar bestimmt zum Vermessen und Katalogisieren, Entfernung und Bewegung - die Grundpfeiler der Himmelsmechanik, sie hat den Laplaceschen Dämon gezeugt, der heute nach der Quantenmechanik wieder Geschichte geworden ist.

Die aus der Materie scheinbar vertriebene Seele hat sich wieder zurückgemeldet, plagt die Quantenmechaniker mit dem Beobachterproblem, und auf einmal blühen ''Viele-Welten-Theorien'' auf, nach denen alles was physikalisch möglich ist, in einer sich unendlich verzweigenden Hierarchie von Universen auch Wirklichkeit wird.

Aber wie gesagt, warum haltmachen bei einer bestimmten mathematischen Struktur, warum nicht auch fragen ob es auch belebte Schemata geben kann, vielleicht solche die von einem einzigen sich selbst als allumfassend begreifenden Geist erfüllt sind, vielleicht solche die ganze Universen beherbergen.

Leben auf anderen Planeten - gut und schön, warum nicht auch: Leben auf geeigneten 27-dimensionalen Mannigfaltigkeiten. Ich sehe da keine prinzipielle Grenze.

Und dann der Schritt über das Naturgesetz hinaus, das Reich der Dichtung. Vielleicht brauchen wir ja gar nicht die mathematische Matrix, die moderne Materie, warum soll nicht der Geist sich auf den Geist stützen können. Worte können Universen erschaffen und für den, der sie vernimmt Realität werden lassen.

Nur weil man die sichtbare Wirklichkeit meist nicht durch Wünschen und Vorstellen umformen kann sinken diese anderen Realitäten nicht zu Hirngespinsten herab.

Meine Vision ist anders: Für mich ist aller Geist letztlich eins, die eigentliche Substanz, aus der die Welt gemacht ist, wie Wasser aus einem unerschöpflichen Ozean, zersplittert in Tauperlen, als Wolken aufsteigend, im Regen fallend, zu Strömen sich sammelnd, ins Meer zurückkehrend und wieder aufsteigend und dabei, gespiegelt im Licht, glitzernd und in Regenbogen erstrahlend, unzerstörbarer Urstoff der Welt.

So sehen es wohl die östlichen Religionen, und legen mit diesem Bild nahe, dass dieses geistige Reich kein oberstes Wesen, keinen höchsten Lenker und Gestalter kennt, sondern nur das ewige Spiel der Wandlung der Erscheinung.

Für den abendländischen Menschen ist das schwer zu ertragen, er lebt mit der Gewissheit des persönlichen Gottes und nicht blinde Schicksalsmächte sondern göttlicher Wille lenkt die Welt und sein persönliches Geschick. Er klagt Gott an, wie es Hiob getan hat, und sehnt sich nach der Erlösung, die für den Christen der menschgewordene Gott, der sich seinem eigenen Gesetz, um es zu überwinden, überantwortet hat, brachte.

Wer also, wenn nicht dieser Gott kann eingreifen, wenn die Idee ''Alles existiert was denkmöglich ist !'' wie ein triumphierender, alles überwindender Trompetenstoss erschallt, wenn den Geist, dem diese Idee als Verheissung bewusst wurde, die Erkenntnis packt, das damit die Macht des Bösen keine Grenze mehr kennt.

Nietzsche meinte ''die ewige Wiederkehr'' sei ein Gedanke von furchtbarer Tiefe, aber wie ein Stäubchen erscheint sie gegen das furchtbarere, das allerfurchtbarste ''Alles existiert, was denkmöglich ist !''.

 

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